Stellungnahme zur Pressemitteilung der Firma IONIS über den Abschluss der IONIS-HTTRx-Studie

Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirates der DHH zu der Pressemitteilung der Firma IONIS über den Abschluss der IONIS-HTTRx-Studie und die anschließende Presseberichterstattung hierüber.

Die Presseberichterstattung über die Ergebnisse der Studie (u.a. in der „Rheinischen Post“ am 15.12.2017) hat innerhalb der DHH lebhafte Diskussionen ausgelöst. In der Pressemitteilung wurde über eine dosisabhängige Absenkung der krankhaften (‚mutierten‘) Form des Proteins Huntingtin im Nervenwasser der Patienten berichtet, die die IONIS-Substanz im Rahmen dieser Studie (insgesamt 46 Teilnehmer) erhalten haben. Zum einen wurde die Frage aufgeworfen, wie derartige Forschungsergebnisse innerhalb der „Huntington-Familie“ rascher kommuniziert werden können. Zum anderen stellte sich die Frage, wie die bislang nur durch eine Presserklärung der Firma IONIS öffentlich gewordenen Ergebnisse zu bewerten sind.

Dazu möchten wir als Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der DHH Stellung nehmen; eine weitere, abschließende Bewertung der Studienergebnisse plant der wissenschaftliche Beirat der DHH auf der Basis einer umfassenden Kenntnis der Daten nach einer Publikation der Ergebnisse abzugeben:

1. Über die von der Firma IONIS durchgeführte Studie mit einem sog. Anti-Sense-Nukleotid (ASO) ist auf den Mitgliederversammlungen der DHH (zuletzt Herbst 2017 – Prof. Landwehrmeyer und Prof. Saft) und auf der deutsch-sprachigen Web-Seite von HDBuzz (https://de.hdbuzz.net) mehrfach berichtet worden.

2. Dabei wurde von den Mitgliedern des wiss. Beirats immer wieder betont, dass es sich bei der jetzt abgeschlossenen Studie um die Klärung der Frage der Anwendbarkeit, Verträglichkeit und Sicherheit des verwendeten ASO, nicht aber um den Nachweis der Wirksamkeit der Substanz handelt.

3. In der nun ohne konkrete Zahlen veröffentlichten Presserklärung von IONIS (http://ir.IONISpharma.com/news-releases/news-release-details/IONIS-pharmaceuticals-licenses-IONIS-htt-rx-partner-following) wird berichtet,

a. dass die durch Einspritzung in die Nervenwasserflüssigkeit im Lendenwirbelbereich eingebrachte Substanz (insgesamt 4 x in 4 Monaten mit anschließender Beobachtungszeit von 3 Monaten) ermutigend gut vertragen wurde, und dass dadurch

b. die Konzentration der krankhaften Form des Proteins Huntingtin im Nervenwasser dosisabhängig reduziert werden konnte.

c. Weitere Ergebnisse stehen noch aus und werden derzeit analysiert.

Das ist mit Hinblick auf die weitere Forschung ein erfreuliches und motivierendes Ergebnis. Von einem „medizinischen Durchbruch“ im Sinne einer wesentlichen Verbesserung oder Heilung der HK kann man allerdings nicht sprechen.

4. Denn – so erfreulich die Ergebnisse auch sein mögen: Es bleiben Fragen offen, die erst durch weitere, bereits geplante Studien geklärt werden können:

a. Das verwendete Anti-Sense-Nukleotid senkt nicht nur die Konzentration des krankmachenden, „mutierten“ Huntingtins, sondern auch die Menge des gesunden, „normalen“ Huntingtins. Wirkt sich die Absenkung des „normalen“ Huntingtins langfristig schädlich aus? Ob die Absenkung des „mutierten“ Huntingtin HKPatienten tatsächlich hilft (und in welchem Krankheitsstadium und in welchem Ausmaß), kann erst durch weitere, länger als 6 Monate angelegte Studien an Patienten in verschiedenen Stadien der Erkrankung geklärt werden. Die Planung solcher Studien wird sehr aktiv vorangetrieben, sodass ein Studienbeginn schon 2018 denkbar ist.

b. Wird die Substanz bei manchen Menschen als Fremdkörper erkannt und löst eine eventuell schädliche Entzündungsreaktion aus?

c. Verteilt sich das Medikament ausreichend weit im Gewebe des Gehirns, um zu einer Verbesserung des klinischen Verlaufs und des klinischen Zustands zu führen? Ob durch Verabreichung von IONISHTT Rx in das Nervenwasser auch Nervenzellen erreicht werden, die in den Tiefen des Gehirns liegen und die bei der HK betroffen sind, ist bisher für Menschen noch nicht nachgewiesen.

Durch die genannten Fragen ist nur ein Teil des Klärungsbedarfs umrissen. Allerdings betreffen die aufgelisteten Fragen alle derzeit diskutierten Behandlungsansätze, die zum Ziel haben, die Bildung von Huntingtin zu verringern.

Wir weisen darauf hin, dass die Firma WAVE Life Sciences aktuell mit den Studien „Precision-HD1 und 2“ analog zum Ansatz der IONIS Studie die Sicherheit und Verträglichkeit von Anti-Sense-Nukleotiden (ASOs) untersucht, die gezielt die Produktion des mutierten Huntingtin, nicht aber die des „normalen“ Huntingtin unterdrücken sollen. Dieser Ansatz kann allerdings nicht bei allen HK-Mutationsträgern angewendet werden; ca. einem Drittel der HK-Patienten in Europa fehlen die nötigen Andockstellen für die WAVE-Substanzen. Auch in diesen Studien geht es zunächst ausschließlich um die Sicherheit und Verträglichkeit der untersuchten ASOs.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die verstärkten Forschungsbemühungen der letzten Jahre und Jahrzehnte nun Früchte zu tragen scheinen. Durch die Identifizierung des für die Erkrankung verantwortlichen Gens können (beginnend in der Grundlagenforschung und am Tiermodell) gezielt therapeutische Ansätze entwickelt werden, die uns dem Ziel einer Behandelbarkeit der Huntington-Krankheit näher bringen. Das Ergebnis der jetzt durchgeführtenIONIS-HTTRx-Studie ist ermutigend. Wir raten allerdings zur Zurückhaltung, angesichts der bisherigen Ergebnisse Worte wie „Durchbruch“ zu benutzen. Darunter verstehen Betroffene und Angehörige berechtigterweise, dass es gelingt, den Beginn der Huntington-Krankheit wenn schon nicht zu verhindern, so doch deutlich hinauszuzögern bzw. ihre Symptome zu lindern, wenn nicht gar zu unterdrücken.

Die Betroffenen und ihre Familien werden weiterhin Geduld und die Fähigkeit aufbringen müssen, Pressemitteilungen und Forschungsergebnisse nüchtern und kritisch zu bewerten, um nicht zu übertrieben optimistischen oder ungerechtfertigt pessimistischen Schlussfolgerungen zu kommen; darin unterstützt sie der wissenschaftliche Beirat der DHH.

 

Anmerkung des Sprechers des wiss. Beirates (Prof. Dr. med. M. Dose):

Diese Erklärung ist von den Mitgliedern des wiss. Beirates im „Umlaufverfahren“ einstimmig angenommen worden. Die Professoren Landwehrmeyer, Reilmann und Saft, hatten (weil sie als Berater der Fa. IONIS für die Studie tätig waren) auf Grund eines möglichen Interessenskonfliktes angeboten, sich bei der Abstimmung der Stellungnahme zu enthalten.

Dafür bestand jedoch deshalb keine Notwendigkeit, weil es (unter Beteiligung der drei Professoren) bezüglich der Stellungnahme Übereinstimmung zwischen allen Beteiligten gab.

Entsprechend internationalen Standards werden wir aber auch bei künftigen Stellungnahmen auf mögliche Interessenskonflikte der Beteiligten hinweisen und eine Enthaltung der Betroffenen dann vorschlagen, wenn bezüglich eines Sachverhaltes, einer Stellungnahme keine Einigkeit erzielt werden kann.

Ein „Interessenskonflikt“ kann z.B. dadurch begründet sein, dass eine Person oder Institution im Rahmen ihrer Beteiligung an einer Studie Sach- oder Finanzmittel zugewiesen bekommen hat, deren weitere Gewährung z.B. durch die kritische Bewertung der Ergebnisse einer Studie gefährdet sein könnte. In diesem Zusammenhang möchten wir interessierte Leser auf die (auf HDBuzz nachzulesende) unterschiedliche Einschätzung der PRIDE-HD-Studie durch die Firma TEVA und des Kommentars auf HDBuzz hinweisen.

Verfasser: Prof. Matthias Dose

Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats der DHH

 

Huntington-Kurier 1/2018