Knochenbruch und ich

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Knochenbruch und ich

Jeder von uns sammelt in seinem Leben unterschiedliche Erfahrungen. Manche Ereignisse wiederholen sich und manche Erlebnisse bleiben einmalig. Manche Ereignisse sind zeitlich vorgegeben wie zum Beispiel der Zeitpunkt der Einschulung oder das Mindestalter für den Führerschein, andere Ereignisse sind ohne zeitliche Vorgaben und können jederzeit passieren. Tatsächlich habe ich es geschafft, 43 Jahre ohne jegliche Knochenbrüche durchs Leben zu kommen.

Durch eine Verkettung von doofen Umständen bin ich auf unserer Baustelle auf dem Weg in den Keller umgeknickt, habe den Halt verloren und im nächsten Moment lag ich mit Baustellenradio und Werkzeugbox auf dem Rücken. Im ersten Moment dachte ich aufgrund des Schmerzes, jetzt haste dir beide Füße gebrochen. Dementsprechend fiel auch mein Aufschrei aufgrund des Schmerzgefühls aus. Also erst mal vom Baustellenradio und der Werkzeugbox befreit, Füße nach oben auf die Stufe gelegt und die Füße mit den Zehen auf Beweglichkeit geprüft. Rechts funktionierte es mit etwas Schmerzen, links war es leider eingeschränkt und nur mit starken Schmerzen möglich.

Okay, keine Panik, vielleicht sind es nur die Bänder, dachte ich, ohne zu wissen, dass Bänderverletzungen schlimmer sind. Also erst mal aufrappeln und nach oben ins Erdgeschoss humpeln. Hinsetzen, Kreislauf beruhigen, Adrenalin abbauen, durchatmen. Noch mal einen kurzen Selbstabgleich, was den ganzen Körper anging. So weit alles in Ordnung, zum Glück schmerzte nichts am Rücken oder Kopf. Auf den Schock versuchte ich meinen Körper weiter zu beruhigen, indem ich mein belegtes Brötchen aß. Nach wie vor dachte ich, dass ich mit etwas Füße hochlegen und einer Auszeit im Liegen sicherlich wieder alles in Ordnung bringen könnte. Leider wurde der Schmerz im linken Fuß zunehmend schlimmer, sodass ich den Weg in die Notaufnahme unseres Klinikums antrat.

Beim Röntgen beider Füße wurde der Ursprung der Schmerzen ausfindig gemacht: doppelte Weber B Fraktur links, was vermutlich eine Operation nötig macht und eine Sprunggelenkverstauchung rechts. Na toll, das braucht doch keiner. Ich sollte Montag zur Kontrolle mit CT kommen, um alles Weitere zu besprechen. Natürlich bekam ich auch einen supertollen Hightech Schuh, mit dem ich mich wie Manuel Neuer fühlen durfte. Das ganze Wochenende habe ich mich, außer auf die Toilette zu gehen, nirgends hinbewegt und nur auf der Couch oder im Bett verweilt. Hauptsache, ich würde um die Operation herumkommen. Montag entschied dann ein Oberarzt in einer weißen Göttermanier, dass er auch ohne CT oder MRT entscheiden könne, dass eine Operation nötig wäre. Im Nachhinein ärgere ich mich sehr, dass ich keine zweite Meinung eingeholt habe. Vor allem, nachdem ich jetzt weiß, wie die Krankenhäuser ihre Abrechnungen gestalten und unabhängig der tatsächlich durchgeführten Untersuchungen feste Pauschalen abrechnen. Unter Fallpauschalen hatte ich mir etwas anderes vorgestellt.

Leider durfte ich meinen Fuß trotz Operation und Hightech Schuh weitere 6 Wochen überhaupt nicht belasten, was mein gewohntes Leben sehr einschränkte. Natürlich war ich regelmäßig bei der Physiotherapie zur Kontrolle bei der Hausärztin und habe mir einen Rollstuhl verschreiben lassen. Allerdings musste ich auf meine geliebten Spaziergänge mit unserem Hund verzichten und mal eben irgendwohin hingehen, war einfach nicht drin. Ich brauchte bei fast allem Hilfe, zumindest empfand ich das so. Mal eben schnell duschen in 10 Minuten war absolut unmöglich. Auch hierfür brauchte es Vorbereitung und Unterstützung. Somit waren mir fast alle Kraftquellen entzogen, wodurch natürlich auch erste depressive Gedanken aufkamen.

Zum Glück habe ich in dieser Zeit aber auch viele Erfahrungen machen dürfen, die mich auf meine mögliche Zukunft vorbereitet haben. Mir ist klar geworden, was meine Kraftquellen für die innere Ausgeglichenheit sind; wie wichtig die passenden Ärzte und Therapeuten für den erfolgreichen Verlauf einer Therapie oder Genesung sind; wie selbstverständlich für mich früher jeder Schritt war; wie wichtig es ist, die Vorlieben des Partners zu kennen, um Streit oder Verletzungen zu vermeiden; wie wichtig es ist, nicht aufzugeben und auf mein Bauchgefühl zu hören.

Im Ausblick auf meine möglichen Symptome als Huntington-Genträgerin waren auch die Erfahrungen mit den Krücken und dem Rollstuhl sehr hilfreich. Beim Fortbewegen mit Krücken waren jegliche Erhöhungen, Kabel, Bordsteine, Regen und Unebenheiten für mich eine Gefahrenquelle. Mit dem Rollstuhl waren aufgrund des Wetters oft meine Ärmel schmutzig. Man braucht schon eine gewisse Kondition, um größere Strecken zu bewältigen und Aufzugtüren schließen meistens zu schnell. Viele Orte waren für mich mit Krücken oder Rollstuhl nicht erreichbar. Ich konnte aber auch viele positive Erfahrungen machen. Mir wurden sehr oft die Türen aufgehalten und gewartet, bis ich durch war. An der Nordseeküste gibt es sehr viele barrierefreie Einrichtungen, die ich mit Krücken oder Rollstuhl besuchen konnte. Die Anmietung des Seniorenmobils (mein Go-Go-Mobil, wie ich es nannte) war mein absolutes Highlight.

Mein Knochenbruch hat mich vieles gelehrt, in einigem bestärkt und auch vor viele Herausforderungen gestellt. Auch für meine Ehe und meinen Mann war diese Zeit eine große Herausforderung, die unsere Beziehung nochmal intensiviert hat. Ich musste lernen, wie schnell eine Unaufmerksamkeit das gewohnte Leben ändern kann; wie wichtig regelmäßige Bewegung für den gesamten Körper und seine Funktionen ist; wie komplex der Körper miteinander verbunden ist. Deshalb achtet auf euch selbst, pflegt euren Körper und eure Gesundheit.

Eure Doris