Geduld und ich

Wer kennt das Gefühl? Man wartet voller Ungeduld auf ein Ereignis. Wir Huntington-Betroffene warten auf ein Heilmittel der Krankheit oder zumindest ein Medikament, das die Krankheit lindert oder den Ausbruch verzögert. Aber auch viele andere warten ungeduldig auf etwas: auf ihren Urlaub, ihren Geburtstag, eine Bestellung, einen Termin beim Chef oder auf Weihnachten. Diese Ungeduld setzt dann manchmal auch andere Gefühle frei: Vorfreude, Euphorie, Aktionismus oder ähnliches. Man will dann etwas tun, um die Wartezeit zu überbrücken oder sich abzulenken. Die Energie, die man in sich spürt, sinnvoll einsetzen. Denn es gibt doch fast nichts Schlimmeres, als sich in Geduld zu üben.

Geduld zu haben oder geduldig zu sein, begleitet uns Menschen doch ein Leben lang. Früher fiel es mir schwer, geduldig zu sein, zu warten. Kindern fällt es häufig schwer geduldig zu sein. Ich konnte als Kind nie etwas abwarten. Diese Eigenschaft prägte mich auch noch lange später im Berufsleben. Dadurch wurden mir unter anderem die Eigenschaften zugeschrieben, hartnäckig und penetrant zu sein. Ich konnte es kaum erwarten, eine Aufgabe abzuschließen. Dadurch setzte ich oft alles in Bewegung, um zu einem Ergebnis oder Ziel zu kommen.

Vielleicht habe ich mich durch das Wissen über meinen Gendefekt auch in diesem Punkt verändert. Man akzeptiert zu warten, geduldig zu sein. Ich durchsuche die Wohnung nicht mehr nach versteckten Weihnachtsgeschenken ab. Ich nerve andere Menschen nicht mehr damit, dass sie mir etwas Vertrauliches verraten. Ich genieße beispielsweise die Vorweihnachtszeit ausgiebig, in dem wir begeistert auf Weihnachtsmärkte gehen und die individuellen Stimmungen aufnehmen. Ebenso versuche ich die Zeit vor der Erkrankung sinnvoll zu nutzen. Ich versuche mich in die Erforschung der Krankheit einzubringen, so gut ich das eben neben Vollzeitstelle und Privatem kann. Ich versuche anderen Menschen Hoffnung zu geben, wenn ihnen alles hoffnungslos erscheint. Vielleicht geben die Menschen mir im Gegenzug ihre Aufmerksamkeit und tragen so ein Stück von mir in ihnen weiter.

Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich wünsche Ihnen eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Start ins neue Jahr 2020!

Ihre Doris

Oktober 2019