DHH-Jahrestagung 2022 - Arbeitsgruppe Versorgungsveränderungen in der Familie

Versorgungsveränderungen in der Familie

Arbeitsgruppe der DHH-Jahrestagung 2022 mit Gabriele Ritter und Jürgen Pertek

Die Idee für diese Arbeitsgruppe war, sich über die Versorgungssituationen in den Familien auszutauschen. Hintergrund hierfür sind die vielen Informationen, die dem Versorgungssystem ein nicht allzu gutes Zeugnis ausstellen. In der Gruppe ging es zum einen darum, wie die Situation in den Familien ist und wie die Familienmitglieder damit umgehen, zum anderen darum, die mehr oder weniger gute Verfügbarkeit von Hilfen und Einrichtungen für die betroffenen Familien zu benennen. Die persönlichen Erfahrungen der betroffenen Familien sollten der Ausgangspunkt für das Gespräch in der Gruppe sein.

In der Gruppe trafen sich ca. 10-12 Teilnehmer*innen, darunter kranke Menschen, Angehörige und Mitarbeiter*innen aus dem Pflege- und Betreuungsbereich. Mit Gaby Ritter war ein Profi mit an Bord, die sich seit Jahrzenten beruflich um betroffene Familien kümmert und über einen großen und wertvollen Erfahrungsschatz verfügt.

In eindrucksvoller Weise berichteten die Anwesenden über ihre Lebenssituation und Erfahrungen mit der Huntington-Krankheit und den daraus resultierenden Folgen. Da war z. B. jene Teilnehmerin, die fragte, was sie tun könne, wenn der kranke Ehepartner nicht so will, wie sie sich das erhofft. Was kann man als Angehörige tun, damit der Kranke nicht nur im Bett oder vor dem Fernseher liegt. Motivieren und Animieren scheinen hier die Zauberworte zu sein. Das erklärten z. B. die anwesenden Profis in der Runde. Ein gut strukturierter Tagesablauf hilft dabei, den Tag und die Woche zu bewältigen. Stress und Überforderung sind zu vermeiden. Ein zu viel des Guten kann ins Gegenteil umschlagen. Das betrifft sowohl den Kranken, als auch den betreuenden und pflegenden Angehörigen. Beim Kranken verschlimmert Stress die gesundheitliche Befindlichkeit, den Angehörigen kann er selber krankmachen.  
Eine andere Teilnehmerin berichtete über ihre Probleme bei der Beantragung der Rente. Obwohl sie einen Pflegegrad hat und einen Behindertenausweis vorlegen kann, hat sie Probleme mit dem Rentenversicherungsträger, der eine Verrentung ablehnt. Warum das so ist, konnte leider nicht geklärt werden. Liegt es möglicherweise an den Vorversicherungszeiten, die nicht erfüllt sind? Eine Vermutung, die in der Runde angesprochen wurde. Das sollte die Betroffene einmal in Zusammenarbeit mit der DHH- Geschäftsstelle und im Rahmen einer professionellen Rechtsberatung klären lassen, war der Vorschlag aus der Gruppe. 

In der Runde wurden einige Themen mehr behandelt. Das Thema Rehabilitation (Kur) wurde angesprochen. Ein Teilnehmer erzählte, dass es für schwerer erkrankte Huntington-Patienten die Möglichkeit gäbe, einmal im Jahr eine Reha zu machen. Man solle sich deswegen einmal mit seiner Krankenversicherung oder einem anderen sozialen Träger in Verbindung setzen und sich nicht entmutigen lassen, wenn die Träger den ersten Antrag ablehnen.
In diesem Kontext wurde empfohlen, jährlich den Verlauf der Erkrankung überprüfen zu lassen. Eine solche Statusüberprüfung kann helfen, Forderungen bei den sozialen Trägern durchzusetzen.

Eine andere Teilnehmerin berichtet über ihren an der Huntington-Krankheit erkrankten Sohn und seiner behinderten Frau. Hier bestimmen Zukunftsfragen den Alltag der Betroffenen. Wie geht man damit um? Wie klärt man diese Situation und wer hilft bei der Klärung? Eine aufsuchende Familienhilfe, die sich mit der Huntington-Krankheit auskennt, könnte helfen. Aber eine solche gibt es nicht oder nur mit zwei Ausnahmen in Person von Frau Ritter und Herrn Brosig, die seit vielen Jahren in die Familien gehen, um dort zu helfen. Die Forderung nach einer Ausweitung solch dringend benötigter Hilfen und Versorgungsstrukturen wurde in Richtung der Deutschen Huntington-Hilfe e.V. ausgesprochen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe redeten über ihre Erfahrungen, die sie in Bereichen der medizinischen Versorgung und der Pflege gemacht hatten. Beide Bereiche wurden als nicht optimal bezeichnet. In der klinischen Versorgung überwiegen die neurologischen Stationen, die Aufgrund ihrer besonderen Abrechnungsmodalitäten, geprägt durch die sog. Diagnosis Related Groups (DRG), eine zeitlich längere Behandlung nicht möglich machen. Das ist in den psychiatrischen Kliniken anders. Hier ist die Behandlungsdauer wesentlich länger als auf den neurologischen Stationen. Zusätzliche Angebote wären hier notwendig.

Im Versorgungssektor Pflege wurde bemängelt, dass die Pflege seit Jahren sich nicht mehr am Menschen orientiert und sich zu einer verdinglichten Arbeit entwickelt hat. Die Zeit für den einzelnen Kranken oder alten Menschen fehlt. “Menschen kann man nicht wie Autos behandeln“, erklärte eine Teilnehmerin.
Dass die mangelhafte Situation in der Pflege und ein scheinbar wenig motiviertes Pflegepersonal auch mit der Wertschätzung des Pflegeberufes zusammen hängen, wurde angesprochen. Der Umgang und die Betreuung der Pflegekräfte wurden hier angesprochen. Dieser muss verbessert werden, und die Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen müssen sich an den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen orientieren. Nur ein gut motiviertes und bezahltes Pflegepersonal wird sich in angemessener Weise um unsere Kranken kümmern.

Die Arbeitsgruppe “Versorgungsveränderungen“ war eine intensive Arbeitsgruppe. Die Teilnehmer*innen erzählten aus ihrem Leben und teilten mit den Anwesenden ihre persönlichen Erfahrungen im Umgang mit der Krankheit und den im Versorgungssystem auftretenden Problemen.
Aber und das soll am Ende festgehalten werden: Nicht alles, was im Versorgungssystem passiert ist schlecht. Dass es auch funktionieren kann, davon berichtete eine Familie aus der Hauptstadt.

Jürgen Pertek