Auch gesunde Personen, die aufgrund der Huntington-Krankheit bei Familienangehörigen das Risiko in sich tragen, ebenfalls Gen-Träger zu sein, können eine solche molekulargenetische Untersuchung durchführen lassen. Man spricht in diesem Fall von einer Vorhersagediagnostik. Diese ermöglicht lediglich die Feststellung, ob jemand die Huntington-Anlage (das Gen) in sich trägt und irgendwann die Huntington-Krankheit bekommen kann oder nicht. Sie ist nicht die Diagnose über den Ausbruch der Krankheit. Weder das Wann noch das Wie der Krankheit wird durch sie vorausgesagt.
Die Gründe, aus denen sich eine Risikoperson untersuchen lässt und den Blick in die eigene Zukunft wagt, sind vielfältig. Es beginnt beim Interesse am eigenen „Gen-Status“, es mag um die Partnerschaft gehen, um Familienplanung, um die eigene Lebensplanung, aber vor allem um Gewissheit in der Ungewissheit. Jedes Mal, wenn ein Glas aus der Hand fällt oder man einen Namen vergessen hat, stellt man sich die Frage, ob dies ein frühes Anzeichen der Krankheit sein kann, oder ob es nur ein alltäglicher Vorgang ist, wie er allen einmal passiert. In jedem Fall liefert die Untersuchung eine Information, die aus dem Wissen nicht mehr zu löschen ist. Unabhängig davon, wie das Testergebnis ausfällt: es kann das Leben einer getesteten Person grundlegend verändern, selbst bei negativem Ergebnis.
Die Vorhersagediagnostik bei Menschen mit dem Huntington-Risiko hat eine erhebliche psychische und soziale Tragweite. Daher wurden von der Internationalen Vereinigung der Huntington-Selbsthilfeorganisationen und vom Weltverband der Neurologen Richtlinien erarbeitet, nach denen die Vorhersagediagnostik durchgeführt werden soll. Laut diesen Richtlinien soll weder bei Minderjährigen, noch auf Wunsch Dritter (z.B. Partner, Eltern, Ärzte, Versicherungsgesellschaften, Arbeitgeber, Adoptionsstellen) eine genetische Untersuchung vorgenommen werden. Die Untersuchung darf nur auf völlig freiwilliger Basis geschehen und niemand ist berechtigt, auf eine Risikoperson Druck auszuüben, damit sich diese dem Test unterzieht.
Unter medizinischen Gesichtspunkten kann die genetische Diagnostik auch bei einer bereits bestehenden Schwangerschaft als Pränataldiagnose durchgeführt werden. Mittels dieser wird festgestellt, ob das werdende Kind Gen-Träger ist oder nicht. Dies kann während der 9. bis 12. Schwangerschaftswoche geschehen. Wird das Huntington-Risiko diagnostiziert, ist es rechtlich zulässig, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Sollten Vater oder Mutter des ungeborenen Kindes selbst noch keinen Gen-Test unternommen haben, so würde natürlich ein positives Ergebnis der Pränataldiagnose auch dem betreffenden Elternteil mit Sicherheit anzeigen, dass er tatsächlich Gen-Träger ist und dass die Krankheit irgendwann bei ihm ausbrechen wird. Aus diesen Gründen sollte auch einer Pränataldiagnose eine ausführliche Beratung beider Elternteile über Möglichkeiten, Ablauf und Folgen der Diagnose vorausgehen. Einschränkend muss zur Zulässigkeit einer Früherkennung jedoch darauf hingewiesen werden, dass nach dem neuen Gendiagnostikgesetz (Feb. 2010) in Deutschland die pränatale Diagnostik für spät manifestierende Krankheiten, dazu zählt auch die Huntington-Krankheit, verboten ist. In Österreich und der Schweiz ist sie nach wie vor möglich. Auch die Präimplantationsdiagnostikä(PID) ist in Deutschland – wie auch in Österreich und der Schweiz – im Grundsatz verboten. Sie wird jedoch ausnahmsweise zugelassen, wenn aufgrund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteils beim Kind eine schwerwiegende Erbkrankheit wahrscheinlich ist. Sie ist jedoch eng an ein positives Votum einer Ethikkommission gebunden.
Der Text stammt aus "Der Huntington-Ratgeber" von Ekkehart Brückner